Gastbeitrag*

von Hans-W. Saloga, München

Unter Bezug auf unsere Arbeit und die Arbeit von Herrn Oelsner (beide im akt. Heft 182) möchte ich ein paar Gedanken zur Diskussion stellen: Ich stolpere etwas darüber, dass Herr Oelsner ASS der Kinderpsychiatrie „überlässt“ und in diesem Zusammenhang ein psychoanalytisches Aufgabengebiet lediglich bei einer sachgerechten Diagnostik sieht. Dieser gänzlichen Abkehr von psychoanalytischer Therapie für alle ASS möchte ich gern widersprechen. Als nicht-glücklich mit der neuen ASS-Klassifizierung würde ich doch gern den Gedanken aus unserer Arbeit weiterverfolgen, dass nämlich die Asperger-Menschen nicht primär zu der Diagnosekategorie „Autismus“ gehören (sollten!) und dass „klassische“ frühkindliche Autisten wohl nicht mit psychoanalytischen Methoden behandelt werden können. Hier mache ich eine Wesentliche Unterscheidung, die überhaupt erst ein psychoanalytisch orientiertes Denken bei Asperger ermöglicht.
Da die Einreichung unserer Arbeit schon zwei Jahre zurück liegt, möchte ich zum besseren Verständnis meine darüber hinaus gehende Sicht, ergänzend zur Darstellung im Artikel, erläutern.
Mein Gedanke eines extrem reduzierten (emotionalen) Resonanzraumes bei Asperger und dessen Aktivierung, Erweiterung in der Therapie hat sich in vielen Therapien bestätigt (ohne einen Anspruch auf statistisch relevante Ergebnisse erheben zu wollen). Dieses Konstrukt, das, nicht nur zufällig, vielleicht etwas an die Theorie der Spiegelneuronen erinnert, stellt durchaus ein Arbeitsfeld für psychoanalytische Therapie dar. Gehe ich nämlich nicht (nur?) von einer biologischen „Ursache“ aus und sehe die reduzierte emotionale Resonanzfähigkeit als wesentlichen Faktor an, dann wäre hier ein Feld für psychoanalytische Arbeit.
Psychoanalytisches Denken und Handeln erschöpft sich nicht in Arbeit an Deutung und Widerstand. Wenn wir im eigentlichen Sinn unseren Jugendlichen (Jack) betrachten, dann bietet sich hier die Möglichkeit, unser tiefenpsychologisches Denken, unsere psychoanalytische Menschensicht zu nutzen, einen Menschen aus seiner Isolation, seinem „Gefängnis“, das er in seinen Texten so eindringlich schildert, heraus zu helfen. Ein selbständiges, an Emotion und Empathie reiches Leben zu ermöglichen, anstatt einer Übung in Verhaltenstechniken, die hier nur „aufgesetzt“ und nie Teil der Persönlichkeit werden (können)!
Eine genauere Darstellung mag Thema einer anderen Arbeit sein, allerdings bleibt an dieser Stelle anzumerken, dass auch der von Herrn Oelsner dargestellte Valentin – ähnlich wie Jack, der eine neue Sichtweise anregt – davon spricht, dass „das nichts mit Autismus zu tun“ habe. Warum sollten wir nicht mal unseren Klienten gedanklich folgen, statt ihnen unser Denken einzuverleiben?
Der Therapieauftrag? Er ist nach meiner Erfahrung immer gleich, zumindest ähnlich: die Befreiung aus dem Käfig sozialer und emotionaler Begrenztheit. Aber wo und wie kann da psychoanalytisches Denken wirken und therapeutisch nutzbar gemacht werden? Wenn wir bei dem vorerwähnten Gedanken verweilen, eine erwartungsfreie Kontaktaufnahme zugrunde legen und als Ziel ein Öffnen des emotionalen Resonanzraumes, also eine Öffnung zu mehr emotionaler und emphatischer Reaktion anstreben, dann wäre ja doch wohl mit dem Spiegeln eigener emotionaler Erfahrungen ein psychoanalytisches Denkmodell angestoßen. Und in diesem Gedanken steckt keineswegs ein Lernen von emotionalen (und in der Folge davon sozialen) Fähigkeiten, sondern die Erfahrung, selbst Emotion, Empathie (und dann soziale Kontakte) spüren und mit ihnen umgehen zu können. Valentin hat Besonderheiten, die als Ergebnis biologischer Gegebenheiten gesehen werden und ihn zu einem etwas sonderlichen Einzelgänger machen. Wenn wir diese „Sonderheiten“ als Mindererfahrung betrachten, dann kann der Jugendliche im
Laufe einer psychoanalytisch ausgerichteten Therapie, zusammen mit seinem Therapeuten die erlebte Erfahrung machen, dass bei einer Ausweitung des emotionalen Resonanzraumes auch die Wahrnehmungen umfänglicher, spür- und erlebbarer werden. Eine dann vorgenommene Einordnung führt zu neuer Beurteilung und ggf. neuem Umgehen damit.

*Gastbeiträge präsentieren stets Standpunkte verschiedener Experten. Die darin dargestellten Meinungen sind unabhängig von denjenigen der Redaktion der KJP.

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