Ein Gastbeitrag von Anna Gätjen, Berlin.
Gedanken zur Videoanalyse.
Das „Corona“ uns aus der digitalen Steinzeit in einem Hochgeschwindigkeits-Zug in das digitale Zeitalter verfrachtet, hört man zur Zeit auf allen Kanälen. Die bisher noch vorsichtig diskutierten Folgen einer Transformation durch die Digitalisierung auf die Gesellschaft und Individuen realisieren sich in atemberaubender Geschwindigkeit. Jetzt digitalisieren. Oder untergehen, schreibt nicht nur Michael Prellberg in der Zeit vom 2. April 2020.
Ob wir das gut oder ungut finden, scheint auch nicht mehr die Frage, sondern eher, wie wir uns mit dieser Realität auseinandersetzen, uns anpassen, verweigern oder sie kreativ nutzen.
Ich möchte hier nicht auf die generellen Fragen zur Digitalisierung eingehen, sondern mich auf die sich zur Zeit dynamisierenden vielfältigen Veränderungen im klinischen Kontext, sprich in der therapeutischen Praxis, beschränken, und damit eine hoffentlich kontroverse Diskussion auf diesem blog eröffnen, die vielleicht helfen kann, mit den neuen Herausforderungen umzugehen.
Es geht mir nicht um digitale Angebote und Neuerungen im Gesundheitswesen, die sicher auch vieles erleichtern, sondern es geht mir hier nur um den Einsatz der Tele- und Videoanalyse in der analytischen Arbeit mit Kindern. Ich beziehe mich zunächst einmal nur auf Kinder, weil mir hier Klarheit am dringlichsten erscheint.
Das Fazit des „round table“ der Bundespsychotherapeutenkammer zu „Psychotherapie im Wandel – Psychotherapie und Digitalisierung“ am 22.1.2020 klingt da noch vorsichtig:
„Zum Schluss der Veranstaltung fasste Herr Munz zusammen, „dass die Digitalisierung in der Psychotherapie ein Thema sei, das die Profession weiter intensiv beschäftigen werde“. (Psychotherapeutenjournal 1/20, S. 52)
Die bisher nur zu diskutierenden und zu erforschenden Fragestellungen eines erweiterten Gebrauchs digitaler Techniken im klinischen Setting, wie etwas durch Telefon oder Videoanalyse, sind durch „Corona“ innerhalb weniger Tage zur Realität geworden.
Da auch ich mitten in diesem Prozess stehe, der mir zum jetzigen Zeitpunkt ein nachträgliches Nachdenken verunmöglicht, möchte ich meine Gedanken als Arbeiten an einem Steinbruch verstanden wissen.
Ausgangspunkt dieses Steinbruchs sind Gedanken und Handlungen von Kolleginnen und Kollegen, die inzwischen auch mit Kindern und Jugendlichen die Videoanalyse nutzen.
Als Forscherin bin ich durchaus neugierig, diese Phänomene zu betrachten und als Klinikerin kann ich den Wunsch, in diesen Zeiten die Kinderanalysen nicht einfach zu unterbrechen, zumal auf unbestimmte Zeit, sehr gut nachvollziehen.
Dennoch frage ich mich, und darüber würde ich gern auf diesem blog mit Ihnen in einen Diskurs kommen, wie die Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung zu betrachten sind, wenn wir online mit Kamera und Mikrofon in die häusliche Umgebung eines Analyse-Kindes hineinschauen, oder als Besucherin plötzlich in seinem Spielzimmer auftauchen?
Das Argument, wir könnten so die Beziehung wenigstens „halten“, führt unausweichlich zu der Frage, wie wir denn die analytische Beziehung verstehen. Ich komme dazu noch einmal auf den „round table“ zu sprechen. Dort wird festgehalten, dass man sich über die unterschiedlichen Therapierichtungen hinaus, „einig war … in der Bedeutung des persönlichen Kontakts für die psychotherapeutische Versorgung und der Relevanz der therapeutischen Beziehung für die Psychotherapie, die auch beim Einsatz digitaler Angebote bestehen bleibe“. (S.52)
Welche Art von Beziehung ist gemeint und welche Art von Beziehung bleibt in der kinderanalytischen Arbeit bestehen?
Ich möchte an dieser Stelle an die Gedanken von Melanie Klein in ihrem Aufsatz: Die psychoanalytische Spieltechnik: Ihre Geschichte und Bedeutung, erinnern.
Wie wir wissen führte Melanie Klein ihre ersten Behandlungen, so die von Fritz und Rita, bei den Kindern zuhause und mit deren eigenen Spielsachen durch.
Sie kam aber recht schnell zu dem Ergebnis, dass trotz der bewussten Unterstützung der Eltern und ihrem Wunsch nach Hilfe, diesem unbewusst doch eine sehr ambivalente Haltung zugrunde lag. Dies dürfte uns nicht besonders wundern.
Als aber noch wichtiger, und hier zitiere ich Klein, stellte sie folgendes in den Mittelpunkt:
„Ein noch wichtigerer Gegengrund war, dass die Übertragungssituation – das Rückgrat des ganzen psychoanalytischen Prozesses – nur hergestellt und erhalten werden kann, wenn der Patient den Behandlungsraum oder das Spielzimmer, in Wirklichkeit die ganze Analyse, als etwas vom gewöhnlichen Leben zu hause getrenntes erleben kann. Nur unter solchen Bedingungen kann der Patient seine Widerstände gegen das Erleben und das Ausdrücken von Gefühlen und Wünschen überwinden, die unvereinbar mit den Konventionen sind und vom Kind als vielen Erziehungsprinzipien widersprechend empfunden werden“. (Klein, M. (1962/2002 S. 15)
Sind diese Überlegungen heute nicht genauso gültig wie damals?
Ich zumindest bin mir sicher, dass das, was meine kleinen Patienten mir „mit ihrem unkonventionellem Verhalten zumuten“, unter dem Auge einer Videoanalyse, von den Eltern eingerichtet und begleitet, – und hier ist sicher ein entscheidender Unterschied zum Gebrauch der Videoanalyse mit Jugendlichen und Erwachsenen herauszustellen, auch wenn dieser auch durchaus kritisch zu untersuchen ist – , nicht stattfinden kann und den analytischen Prozess auch in empfindlicher Weise stören kann.
Wie kann ich mir vorstellen, wie das Kind mit seinem Ärger über die Unterbrechung im häuslichen Spiel oder gar unterbrochenem Konflikt mit den Eltern oder Geschwistern, nun in einem von den Eltern hergestellten und geteilten häuslichen Raum, seine analytische Arbeit fortführen könnte?
Vielleicht spitzen sich ja gerade in der Kinderanalyse die Essentials der analytischen Beziehung zu? Das im Videokontakt ermöglichte „sichtbar-werden“ der Analytikerin reduziert das gerade mit Kindern im Zentrum stehende ganzheitlich-leibseelische Erleben im analytischen Prozess auf eine technisierte Abstraktion der Beziehung. Bleibt zu hoffen, dass Kinder das schnell langweilig finden und sich der Kamera entziehen.
Die Frage der eingeschränkten Wahrnehmung, reduziert auf Hören und Sehen, wie die Frage des Raumes, eines privaten, nur mit der Analytikerin geteilten, sehe ich im Zentrum der Unmöglichkeit, Videoanalyse mit Kindern durchzuführen. Sicher gibt es noch viele weitere Gedanken.
Ich arbeite mit meinen Kindern auch „mit Corona“ weiter, soweit die Eltern damit einverstanden sind, was bei mir alle sind. Ich gehöre altersmäßig schon zur Risikogruppe, aber fühle mich gesund und ohne Vorerkrankungen empfinde ich für mich kein Risiko, bei strenger Einhaltung von den allgemein empfohlenen Hygienemaßnahmen, auch nicht für meine Patienten. Bin ich also gar nicht betroffen? Was macht die „Risiko-Kollegin“, oder das Kind mit „Risiko-Eltern“, das nicht zur Analytikerin darf? Viele Fragen sind offen, eindeutig ist, dass „Corona“ uns einen schmerzlichen Verlust leibseelischen Kontaktes aufnötigt. Ich habe aber große Zweifel daran, ob dieser Verlust mit Hilfe digitaler Technik in der Behandlung von Kindern ungeschehen gemacht werden kann.
Liebe Frau Gätjen,
ich gehöre auch zu den KJPs, die zur Risikogruppe gehören und trotzdem weiterhin mit den Kindern und den Jugendlichen in meiner Praxis arbeiten. Bis auf 2 Famiien, kommen all meine Patienten, Ich merke hier, wie wichtig gerade in Krisenzeiten der persönliche Kontakt und die Sicherheit des therapeutischen Raumes ist. Mit einem meiner jugendlichen Patienten, der eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer ausgeprägten Angssymtomatik hat, habe ich eine Videostunde gemacht. Als ich nach dieser Stunde versuchte meine Gefühle zu sortieren, rief mich der Patient an, um mir zu sagen, dass er nicht wieder eine Videostunde machen möchte. Er sagte u.a., dass ihm das Therapiezimer gefehlt habe. Das Fehlen des therapeutischen Raumes haben wir beide gemerkt, der Patient etwas schneller als ich. Wir waren uns einig. dass wir lieber einen Stundenausfall aushalten, als noch einmal eine Videostunde.
Bleiben Sie gesund!